Frachtschiff

Logistik mit Tiefgang

Heilbronn: Frachtschifffahrt ist ein Lebensstil mit Tiefgang. Die dreiköpfige Besatzung der „Stadt Heilbronn“ arbeitet zwischen Industriesalz und Süßwasser und verbringt auch ihre Freizeit an Bord.

„Vorne 15, hinten 5.“ Richard Nawrot hat ein gutes Augenmaß. Über Funk gibt der 57-jährige Bootsmann aus Stettin, der in Polen ein Kapitänspatent erworben hat, den Abstand zwischen der Schleusenmauer und der Steuerbordseite der „Stadt Heilbronn“ in Zentimetern an das Steuerhaus durch. Dort hat Karlheinz Käfer den Hörer am Ohr und die vier Bordkameras im Blick. Hochkonzentriert steuert der 64-jährige Kapitän das 105 Meter lange und 11,45 Meter breite Gütermotorschiff in die Schleuse Kochendorf.

Unser Foto zeigt: Über Funk kommuniziert Karlheinz Käfer im Steuerhaus mit seinen Matrosen sowie mit Schleusenwärtern und entgegenkommenenden Schiffen.

Enge Einfahrt: Elf Schleusen muss das rund 2500 Tonnen schwere Frachtschiff zwischen Heilbronn und Mannheim passieren. Dabei überwindet das Fahrzeug jeweils einen Höhenunterschied zwischen sechs und zwölf Metern. Die Ein- und Ausfahrt aus den nur zwölf Meter breiten Kammern ist jedes Mal anspruchsvolle Präzisionsarbeit.

Weil die Schleusen jetzt geschlossen werden, endet an diesem verregneten Sommerabend für die Besatzung kurz nach 22 Uhr in Neckarzimmern ein langer Arbeitstag, der bereits um 6 Uhr begonnen hat. Der Schiffsführer darf jeden Tag maximal 14 Stunden am Steuer sitzen, einmal in der Woche 16 Stunden. Die Lenkzeiten werden digital gespeichert und von der Wasserschutzpolizei regelmäßig kontrolliert.

Hoher Wohnkomfort: Müde ziehen sich der Kapitän sowie seine beiden Matrosen, Richard Nawrot und sein Sohn Martin, in ihr Privatleben unter Deck zurück. Jeder hat seinen eigenen Wohn- und Schlafbereich samt Küche und Bad mit Dusche und Toilette. Der Schiffsführer verbringt die Nacht in einer geräumigen Wohnung, die zusätzlich noch über einen separaten Arbeitsbereich verfügt.

Richard Nawrot dreht so lange an der Satellitenschüssel, die am Heck installiert wurde, bis er die Nachrichten in seiner Heimatsprache empfangen kann. Martin Nawrot kommuniziert derweil über Skype mit der Freundin in Stettin und dem gemeinsamen Sohn, der erst eineinhalb Jahre alt ist. Vier Wochen arbeitet Martin Nawrot auf dem Schiff, dann hat er einen Monat frei. Zu den zwölf Monatslöhnen pro Jahr bekommt er noch Weihnachtsgeld. „So gut könnte ich in Polen nie verdienen“, erklärt der 26-Jährige, der sein Studium der Informatik abgebrochen hat, um auf dem Binnenschiff zu arbeiten.Bord

Mit rund 80 Lkw-Ladungen Salz im Bauch ist das Gütermotorschiff „Stadt Heilbronn“ auf Neckar und Rhein bis zum Hafen in Köln-Godorf unterwegs.

Moderne Elektronik: Am nächsten Tag pflügt das Schiff, das rund 80 LKW-Ladungen Salz für einen chemischen Großbetrieb in Hürth-Knapsack im Bauch hat, mit etwa 17 Stundenkilometern durch die Flussschleifen. Ein Ortungssystem zeigt entgegenkommende Schiffe an. „Die moderne Bordelektronik ist vor allem im Winter eine große Hilfe, wenn die Tage dunkel sind und der Fluss häufig im Nebel liegt“, betont Käfer.

Auf dem Rhein schaltet der Schiffsführer den Autopilot ein und erhöht die Geschwindigkeit auf 22 Stundenkilometer. Dann springt Stups auf den Schoß des Kapitäns - der Jack Russel Terrier genießt es, von seinem Herrchen gekrault zu werden.

In Nierstein geht das Schiff mit einem Tiefgang von 2,60 Meter, das Käfer von der Reederei Schwaben GmbH als Ausrüster gemietet hat, vor Anker. Die letzte Etappe bis zur Löschstelle Köln-Godorf führt am dritten Tag auch an zahlreichen Burgen, Schlössern und der Loreley vorbei. Statt die Aussicht zu genießen, nutzen Martin und Richard Nawrot das sonnige Sommerwetter, um das Deck zu schrubben und zu streichen.

Um sein Schiff sicher in den nächsten Hafen zu steuern, verlässt sich Karlheinz Käfer nicht nur auf das Echolot und den Radar, der das Ufer absucht. Der Kapitän, der bereits seit mehr als 40 Jahren auf Wasserstraßen unterwegs ist, umschifft Untiefen und gefährliche Strömungen vor allem dank seiner umfangreichen Erfahrung. „Mit einem Schiff ist es wie mit einer Frau“, hat der reife Single gelernt. „Für beide braucht man viel Gefühl.“

Text und Foto: POSITIV-MEDIEN (gbk * Stefan Zibulla * Waldemar Herzog)