Für das Leben

Entscheidung für das Leben

Stuttgart: Im Sommerurlaub nach dem Abitur stellte ein Kopfsprung ins Schwimmbad alles, was für Maria-Cristina Hallwachs bis dahin „Leben“ hieß, buchstäblich auf den Kopf. Sie brach ihr Genick. Seitdem ist sie querschnittsgelähmt und wird künstlich beatmet. Die junge Frau hat ihre Entscheidung für das Leben keinen Moment bereut. Heute lebt die 40-jährige Stuttgarterin in ihrer eigenen Wohnung. Sie hat ein Studium absolviert und engagiert sich für beatmete Patienten, für Barrierefreiheit und mehr Bewusstsein im öffentlichen Umgang mit Behinderung.

Ihre Augen unter den quirligen dunklen Locken strahlen Freude aus und ihre Stimme hat einen warmen Klang, wenn Maria-Cristina erzählt. Manche ihrer Sätze enden mit der Einatmung, statt auf dem ausströmenden Atem, und somit verschiebt sich die Tonhöhe ein wenig nach oben. Daran lässt sich erahnen, aber nicht wirklich vorstellen, wie es sich anfühlen muss, zum Überleben auf die Hilfe eines Atemgerätes angewiesen zu sein.

24 Stunden täglich Pflege und Assistenz, das heißt für sie aber auch, so leben zu können wie sie es will, nämlich souverän und selbstbestimmt. Sie selbst entscheidet, was und wie sie es tun möchte. Und es ist Hallwachs wichtig, dass die Chemie zwischen ihr und jenen stimmt, die sie Tag für Tag begleiten.

Pflegekräfte bei gerätebeatmeten Patienten sind zwar speziell ausgebildet, aber Harmonie, so Hallwachs, sei nicht nur bei körperlicher Nähe sondern auch beim Teilen anderer Lebensbereiche,  beispielsweise dem gemeinsamen Kontakt mit persönlichen Freunden, wichtig.

Maria-Cristina Hallwachs freut sich, durch ihre öffentliche Präsenz zeigen zu können, dass es trotz Behinderung möglich ist, aktiv am Leben teilzunehmen, das Leben zu genießen und mit Menschen in Kontakt zu kommen. „Ich lebe genauso normal wie alle Menschen“, erklärt sie. Nur manchmal, wenn mir die Kraft ausgeht, frage ich mich, warum immer ich es bin, die auf die Menschen zugeht. Es könnten auch `mal Leute auf mich zukommen. Ich glaube jedoch“, räumt sie schmunzelnd ein, „dass mir mein Leben, und die Aufgabe, die ich erhalten habe, einfach viel Kraft gibt. Ich verausgabe mich gerne, lerne aber mittlerweile, meine Grenzen zu erkennen. Das sind auch manchmal die Grenzen meiner Assistenten.“

Als beatmete Patientin muss Maria-Cristina Hallwachs permanent medizinisch versorgt werden. Was finanziell darüber hinausgeht, und ihr einen gewissen Komfort verschafft, beispielsweise ein behindertengerechtes Auto, geht auf ihre Kosten. Wenn sie verreist, verreisen drei Personen. Denn zwei Assistenten oder Pfleger, deren Ausgaben sie mit übernimmt, sind immer dabei. „Ich bin in der glücklichen Lage, von meinen Eltern finanziert zu werden“, freut sich Hallwachs. „Ich könnte zwar arbeiten, um Geld zu verdienen, was ich jedoch alles für meine Pflegekosten wieder ausgeben müsste.“

Barrierefreiheit überall zu gewährleisten ist für Hallwachs kein Thema, über das lange diskutiert werden sollte. „Das wäre sicherlich nicht schwer zu verwirklichen“, betont sie. „Und ich ärgere mich oft, wenn ich irgendwo essen gehen will, es aber nicht kann, weil ich dort nicht hinkomme.“ Auch das Zuparken von Behindertenparkplätzen muss offenbar immer wieder angesprochen werden. „Ich habe stets Zettel bei mir, die ich an die Scheibe klebe, in der Hoffnung, dass es einmal hilft“, berichtet Hallwachs. „Die Leute machen sich keine Vorstellung davon, wie es für mich ist, 300 Meter durch den Regen fahren zu müssen, wie lange es dauert, bis meine Kleidung trocken ist und was das für meine Gesundheit bedeutet. Ich sage dann manchmal, ‚kommt doch mal mit, begleitet mich, dann seht Ihr, was ich meine’. Aber davor schrecken die meisten zurück.“

Maria-Cristina Hallwachs packt ihr Leben beim Schopf. Und dazu gehört auch der kreative Aspekt. Ihr Filmprojekt „Qualitätskontrolle“, ein Stück des Autoren- und Regieteams Rimini Protokoll, wurde mit dem Publikumspreis des Mülheimer Dramatikerpreises „Stücke 2014“ ausgezeichnet.

„Ich habe noch viele offene Wünsche“, sagt Maria-Cristina Hallwachs. „Vielleicht kann ich mir einige davon erfüllen, beispielsweise Gleitschirm fliegen.“ Sie reist auch gerne und würde am liebsten eine Weile in Frankreich leben. „Ich fühle mich sehr zur französischen Sprache und Lebensart hingezogen“, erklärt sie. 

Doch noch zögert die agile Frau, diese Pläne umzusetzen. Denn im Raum Stuttgart hat sie ein soziales und therapeutisches Netz aufgebaut, das sie nicht leichtfertig verlassen oder vernachlässigen möchte. Und sie hat ein Zuhause, von dem aus sie gespannt in die Zukunft blickt.

Was ist der Mensch? Auf diese Frage will Maria-Cristina Hallwachs eine Antwort geben. „Ich liebe das Leben!“, versichert sie. „Wenn ich Aussagen von Leuten höre wie: ‚In diesem Zustand würde ich mich umbringen’, dann kann ich nur sagen: So etwas habe ich noch nie verstanden. Ich finde es prima zu leben.“

Maria-Cristina Hallwachs will durch ihre öffentliche Präsenz zeigen, dass es trotz Behinderung möglich ist, das Leben zu genießen.

Information: Maria-Cristina Hallwachs bietet Menschen, die sich in einer ähnlichen Lebenssituation wie sie befinden, Unterstützung an: Durch Besuche zu Hause oder im Krankenhaus, Gespräche am Telefon oder Kommunikation per E-Mail: info@leben-mit-beatmung.de

Text und Foto: POSITIV-MEDIEN (PR-gbk * Zimmer *Waldemar Herzog)