Holland

Wochenendfahrt durch Holland - Mit alten Weisen auf stillen Wassern

Milchweiß spannt sich der Himmel über Straßen und Landschaft. Hügel voll deftig bewachsener Weinstöcke wechseln mit dicht belaubten Baumbeständen, und im nebelverhangenen Grün zeichnen sich schon zarte gelb- und orangefarbene Tupfer ab. Stille Vorahnung auf den Winter verströmt die Herbstkulisse, die frühmorgendlich stumm vorbeizieht an den großflächigen Scheiben des Vier-Sterne-Busses.

Punkt 5:45 Uhr steht Reiseleiter Erik Pastink am Tübinger Hauptbahnhof, zünftig gekleidet in oranger Fellmütze, Hollandkravatte und Clocks, um eine freudig gespannte Truppe von circa 40 Reisegästen zusammen zu pfeifen. Und offensichtlich verspricht, trotz Schlechtwetterprognose, die Tour mit Erik Pastink, der um keinen lustigen Spruch verlegen ist, eine pfiffige Sache zu werden. Gleich zu Anfang weist Busfahrer Wolfgang Geyer die Gäste auf die Anschnallpflicht hin. Nach zwei Stunden Fahrt wird er bei Karlsbad von Thomas Frank abgelöst.

Kurz darauf erwartet uns ein ausgiebiges Frühstück: Kaffee, frische Brezeln und Kuchen. Und Erzähler Hansjörg Ostermayer bringt auch den letzten Morgenmuffel mit einem Schwank über Schwabenstreiche zum Schmunzeln. Wenig später erreichen wir den Aussichtspunkt Moseltal mit seinen zwei originellen Rastplätzen, die von beiden Seiten unterhalb der Autobahn den gigantischen Weitblick auf eine von Weinbergen flankierte sanfte Flussbiegung erlauben.

Holland zum Kennenlernen

Unsere Fotos zeigen: Historische Mühlen und Hollandhäuser im Originalformat im Museumsdorf Zaanse Schans können auch bewundert werden

Doch wer weiß eigentlich Bescheid über Land und Leute, die wir jetzt besuchen? Wer kennt den höchsten oder tiefsten Punkt, den größten Nationalpark, den weltberühmten Blumenpark, wer weiß, wo sich die holländische Regierung befindet, oder was es mit Willem von Oranien und dem Koningsdag auf sich hat? Wer malte die „Nachtwacht“, wie viel derzeitige Einwohner hat Holland und wie viele Provinzen? Ein Holland-Quiz gibt Aufschluss, und wir nähern uns Köln.

Noch mehr Infos über die Niederlande insgesamt und deren weitere Highlights vermitteln uns während der Fahrt eingespielte DVDs auf gut sichtbaren Monitoren. Der Name „Holland“ zum Beispiel, dessen Großteil ja unter dem Meeresspiegel liegt, wird oft synonym für die Niederlande benutzt, ist aber nur ein Teil davon, und wurde erstmals 866 als Holtland, „Holzland“ oder „Waldland“ für die Gegend um Haarlem erwähnt. Die frühere Grafschaft Holland war eine politische Einheit und besteht aus den beiden Provinzen Nordholland und Südholland, die schon immer eine dominante Rolle in der kulturellen, politischen und sozialen Geschichte Europas gespielt haben.

Land der Wasserstraßen

Mittagspause bei Moers / Venlo im flachen Land, wo die erste Windmühle hinter Bäumen hervorragt. Ansonsten gibt sich noch alles recht deutsch. Über Arnhem – Zeist – Bunnik nähern wir uns dem ersten Ziel in Südholland, der Universitätsstadt Utrecht mit Dom und ansprechender Altstadt, durchzogen von Kanälen. Auf Wasserhöhe beidseits liegen in den Kellergeschossen der Gebäude Kneipen und Restaurants. Diniert wird in einem solchen mit je zwei Wahlmöglichkeiten: vegetarisch oder Fleisch bzw. Fisch. Um danach gleich ins Boot zur abendlichen Grachtenfahrt durch die beleuchteten Stadtviertel umzusatteln.

Im Norden der Provinz Overijssel, im Waterrijk Naturpark 'De Weerribben / Wieden', dem größten ununterbrochenen Tieflandsmoorgebiet in Nordwest-Europa, liegt das Wasserdorf Giethoorn, auch als „das grüne Venedig" Hollands bekannt. Zwischen liebevoll angelegten Gärten vor schilfgedeckten Bauern– und Torfgräberhäuschen aus dem 18. und 19. Jahrhundert durchziehen viele Grachten mit kleinen Holzbrücken den sieben Kilometer langen Ort. Diese idyllische Atmosphäre und der Reiz der umgebenden Landschaft bezaubert uns auf einer Bootsfahrt am Samstagmorgen. Ruhe und Erholung stellt sich auf dem Wasser ein, als sich noch zögerlich schimmernd die Sonne im Gegenlicht zu spiegeln beginnt.

Mühlen, Käse, Kibbeling

Ziel für die Mittagsmahlzeit ist der kleine Ort Urk am Meer. Denn da gibt es den besten Kibbeling - Hollands fish & chips- Variante. Zur Nachspeise im Bus regen frisches Obst plus Obstler sowie literarische Kost sowohl Verdauung als auch Stimmung an, als wir die Untaten der „Frouwe von Stavoren“ verabreicht bekommen, die an der Küste des IJsselmeeres ihrem hemmungslosen Hang zur Dekadenz frönte. Shoppen und Schauen heißt es nachmittags im Dorf Zaanse Schans, einem Freiluftmuseum, welches das historische Erbe der Niederlande zeigt.  Viele alte Gebäude wurden dorthin transportiert, wieder aufgebaut und in ihren ursprünglichen Zustand versetzt, auch die am Ort bestehenden Windmhlen restauriert.

Neben pittoresken Häusern beeindruckt die stattliche Reihe der landestypischen Windmühlen. Zu besichtigen sind Souvenirläden, K¦serei, Werft, Holzschuhwerkstatt, Bäckereimuseum, das Zaanse Uhrenmuseum und die weltweit einzige Farbmhle, De Kat. Der Eintritt in das Freigelände ist abgesehen von den Mühlen und anderen Sehenswürdigkeiten kostenlos. Anschließend rundet ein Besuch in Amsterdam inklusive ausgedehnter Grachtenrundfahrt und Diner im Restaurant mit anregenden Gesprächen und leckerem Menü den erlebnisreichen zweiten Reisetag ab.

Schutzprojekte gegen Hochwasser

Am Sonntag geht es weiter Richtung Rotterdam. Und als sich beim Abstecher an den Strand von Scheveningen, einem der bekanntesten holländischen Seebäder, das Meer von seiner finsteren Seite zeigt, ist der richtige Moment für die gruselige Geschichte des unermesslich reichen Kapitän Claas van Belem, der Frau und Schwiegervater erstach, und seinem Geisterschiff, „die Gelderland“, gekommen. Trockene Füße behalten - ein lebensnotwendiges Anliegen für die Bewohner Südhollands, besonders seit der verheerenden Flutkatastrophe, die in der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1953 durch das unheilvolle Zusammentreffen einer Springflut mit starkem Nordweststurm ins Rollen kam. Mehr als 1800 Menschen verloren in dieser Nacht ihr Leben. Infolgedessen wurde der „Deltaplan“ umgesetzt, und heute sind große Teile Südhollands mit umfangreichen Poldern geschützt. Diese durften aber die Schifffahrt rund um das weitläufige Hafengebiet von Rotterdam nicht behindern. Auch dieses Problem ist präsentabel gelöst worden. Mit dem Bau des imposanten Maeslant - Sperrwerks kam das Hochwasserschutzprogramm „Deltawerke“ zum krönenden Abschluss. Die aus Wartungsgründen überirdisch angelegte Zangenkonstruktion aus zwei Stahlarmen in den Docks bei Rotterdam schützt heute den Durchgang zum offenen Meer. Wenn eine besondere Flut droht, schließen sich beide Arme automatisch und verankern sich im Boden, Stahlkammern nehmen das einströmende Wasser auf und leiten es ab. Dies und weitere neue wasserbautechnische Entwicklungen lernen wir im „Keringhues Besucherzentrum Wasser in Südholland“ kennen. Auf dem Außengelände des interaktiven Informationszentrum unweit vom Maeslant Sperrwerk können auch geführte Besichtigungen gebucht werden können. Hansjörg Ostermayer umrahmte den Besuch mit der Sage von Hans Brinker, der mit seiner bloßen Faust eine ganze Nacht lang ein Loch im Deich verstopfte, auf diese Weise drei Städte rettete und so als Held gefeiert wurde.

Stark im Dreigespann

Ursprünglich Lehrer, ist Hansjörg Ostermayer seit mehr als zwölf Jahren im Raum Tübingen erzählend unterwegs - mit verschiedenen musikalischen Partnern wie Erik Pastink aus Dußlingen. Pastink arbeitet im Controlling. Ansonsten ist er Musiker für mehrere Tasteninstrumente, Dolmetscher, Reiseleiter und Holländer mit Leib und Seele. Bei einem Besuch im Kloster von Taizé lernte er vor zwölf Jahren seine deutsche Ehefrau kennen. Und bald wurde ihm klar, wo er in Zukunft leben würde: In Baden Württemberg.

Aber nicht nur zur regelmäßigen Fortbildung als Organist, sondern auch aus dem Bedürfnis heraus, Reisegästen die Schönheiten seiner Heimat zu zeigen, zieht es den ambitionierten Musiker immer wieder nach Holland. Gemeinsam mit Freund Thomas Frank, Buschauffeur der Firma Däuble aus Deckenpfronn bei Herrenberg, und künstlerischem Partner Hansjörg Ostermayer hatte Erik Pastink die Idee, ein Liebhaberprojekt auf die Beine zu stellen: „Eine Hollandfahrt im Reisebus mit Literaturbegleitung“. Und das ist dem tatkräftigen Trio gelungen.

Wer Holland besucht, wird mit Wasser konfrontiert, ob von oben oder unten. Doch kein hartnäckiger Regenguss kann die harmonische Gruppenatmosphäre an diesem Wochenende voll neuer Erlebnisse trüben. Sogar zwei Geburtstagskinder gibt es auf der Rückfahrt im Bus. Ein Und bei diesem Anlass zum Singen tritt ein beträchtliches Spektrum an Liedgut zutage.  Mit „Griechischer Wein“, „Bergvagabunden“ und „Über den Wolken“ thematisiert die Gruppe im Kontrast zur eben besuchten Destination musikalisch nicht nur weitere Reisesehnsüchte. Auch alte deutsche Weisen wie „Im tiefsten Wiesengrunde“ und „Wenn alle Brünnlein fließen“ sind noch parat, sowie last not least die komplette Version von „Der Mond ist aufgegangen“.

Hoch oben strahlt kalt und hell die besungene Halbkugel durch die Glasscheiben hindurch und konkurriert mit den aufblitzenden Scheinwerfern der Gegenfahrbahn. Der Abend geht allmählich in die Nacht über, und die Reise ihrem Ende zu.

Text und Foto: POSITIV-MEDIEN (gbk-Zimmer * Waldemar Herzog)